Thyrnau. Höchst aktuelle und überraschende Interpretationen zu den biblischen 10 Geboten stellte der Bildungsreferent Bernhard Suttner aus Windberg (Landkreis Straubing-Bogen) beim Besinnungstag der Katholischen Landvolkbewegung (KLB) im Landkreis Passau vor. Der Kreisvorsitzende Johannes Schmidt konnte im Zisterzien-serinnen-Kloster St. Josef in Thyrnau 26 Frauen und Männer aus den Landkreisen Passau und Freyung-Grafenau begrüßen.
„Auf den ersten Blick scheint dieser 3000 Jahre alte Text nichts zu den großen Problemen des 21. Jahrhunderts – Klimaveränderung, Umweltverschmutzung, Ungerechtigkeit im Welthandel mit den armen Ländern — zu sagen zu haben“ stellte der Referent fest. Bei genauerem Nachdenken zeige sich aber, dass die zehn Gebote als Grundgerüst einer Ethik für den Alltag in der modernen Zeit äußerst hilfreich sind. „Wir müssen keine neuen Regeln erfinden; es geht darum, die alten Hinweise zeitgemäß zu interpretieren und endlich ernst zu nehmen! Dabei wurden in der Tat wurden die zehn Gebote über Generationen hinweg als enges Moralkorsett für privates Verhalten interpretiert“ meinte der Referent.
Eingangs betonte Suttner, dass ein Aspekt bei der Vorstellung der zehn Gebote vielfach fehle: Mit der Erinnerung an „die Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägyptens“ richtet sich die Botschaft der zehn Gebote an freie Menschen, die für ihr Tun selbst verantwortlich sind. „Sklaven haben keine Verantwortung für ihr Handeln!“ so Suttner.
Wenn man aber nach den Werten frage, die z.B. durch das 5. Gebot („Nicht morden!“) oder auch durch das 7. („Nicht stehlen!“) geschützt werden sollen, öffne sich ein weiter Horizont. „Die Abscheu vor Mord, Raub und Totschlag reicht nicht aus. Wer diese Gebote wirklich ernst nimmt, muss sich um die positive Sicherung und die Förderung des Lebens und seiner Grundlagen bemühen!“. Der Referent nannte als Beispiel den alltäglichen Konsum: Wer z.B. beim Genuss einer Tasse Kaffee oder beim Kauf eines Baumwoll-T-Shirts sein Gewissen bemüht, kann sehr ins Grübeln kommen: „Entweder wird er erschrecken über lebensfeindliche Zustände auf den Anbauplantagen, über Hungerlöhne, unwürdige Arbeitsumstände und über gefährliche Chemikalien. Oder aber er wird mit Genugtuung feststellen können, dass aufgrund fairer Handelsbeziehungen, guter Arbeitsschutzgesetze und biologischer Anbaumethoden das Leben in positiver Weise gefördert wird.“ So werde eine einfache Kaufentscheidung zwischen „Schnäppchen-Superpreis“ oder aber „fair und ökologisch“ zu einer Frage der Beachtung des 5. und 7. Gebotes. Beispielhaft sei hier das Engagement der „Eine-Welt-Läden“ und vieler kirchlicher Verbände und Gemeinden für den fairen Handel. In diesem Zusammenhang verwies er auf das dem Bundestag vorliegende Liferkettengesetz. Der Referent zeigte sich „froh und dankbar“ dafür, dass Papst Franziskus in seiner aktuellen Enzyklika „Laudato Si´“ die aktive Liebe zur Schöpfung und die Absage an einen „zerstörerisch-ausbeuterischen Lebensstil“ unmissverständlich als Christenpflicht definiert habe.
Ausführlich beschäftigte sich Suttner mit dem „schwierigen 1. Gebot“: Es fordert die ausschließliche Treue zu Jahwe, der sein Volk aus der Sklaverei befreit hat, warnt vor jeglichem Götzendienst und weist auf den Fluch böser Taten hin, die sich auch noch auf die nachfolgenden Generationen auswirken werden. Dieser auf den ersten Blick „erschreckend harte Text“ erscheine ihm wie für uns moderne Menschen geschrieben, meinte Suttner: „Moderne Götzen – das sind die vom Menschen selbst gemachten und verabsolutierten ideologischen Systeme, deren Auswirkungen als Fluch noch auf den künftigen Generationen lasten werden“ stellte Suttner fest. Jedermann müsse sich fragen, welche Götzen er anbete. Das kann auch das Auto sein, das Aktiendepot oder der Konsumrausch. Oder auch der zerstörerische Lebensstil, der Boden, Wasser, Luft und Pflanzengrün verschmutze und bedrohe und die Sonne nicht als Energiequelle nütze.
Das dritte Gebot der „Sabbatruhe“ ist eigentlich eine Aufforderung dazu, sich frei zu machen von allen Pflichten und ruhig einmal die Füße hoch zu lagern und nichts zu tun. Es ist die Aufforderung, dem Arbeitsstress zu entfliehen und sich der Muße zu widmen. Nicht gemeint ist allerdings damit, sich in einen Freizeitstress mit lauter Events zu stürzen. Der Mensch braucht auch Phasen der Ruhe. Nur „unter Strom“ zu stehen in Arbeit und Freizeit mache krank und produziere „burn-out“.
Als Kern-Botschaft der Zehn Gebote stellte Suttner deshalb fest: „Hüte dich vor dem Verlust der geistigen Freiheit; stelle dich der Verantwortung bei allen deinen Entscheidungen und lasse dich angesichts der großen Weltprobleme nicht zur Resignation verführen.“ Wir sind, die es unseren Enkeln und Urenkeln schuldig, alles dafür zu tun, den Planeten als guten Ort zum Leben zu erhalten. Vor allem müsse der Energieverbrauch radikal gesenkt und auf erneuerbare Systeme umgestellt werden. Suttner: „Wer über ein verantwortbares Maß hinaus unersetzliche Lebensvoraussetzungen wie z.B. den fruchtbaren Boden, das Trinkwasser, die Artenvielfalt und die Atmosphäre belastet oder zerstört, begeht im eigentlichen Sinn Diebstahl, weil er den künftigen Generationen die Lebenschancen wegnimmt!“ So verschwenderisch weiter zu wirtschaften, wie wir das heute ganz selbstverständlich tun, treibe die Erde und die Menschheit in wahrscheinlich unlösbare Probleme.
Suttner warnte vor einer „Privatisierung der Ethik“ nur im kleinen Familienkreis. Er plädierte für eine Wiederbelebung des „sozialethischen Engagements auf allen Ebenen – auch und gerade in der Kirche“. Die ganz großen Probleme sind mit rein privaten Verhaltensänderungen nicht zu bewältigen: „So sehr ich für die kleinen privaten Schritte plädiere, so sehr weiß ich auch, dass soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz ohne bessere Gesetzgebung und Rahmensetzung für die Wirtschaft nicht erreicht werden können.“ Auf die-sem Feld können vor allem die Verbände den Boden bereiten. Soziale und ökologische Mindeststandards müssten weltweit durchgesetzt werden, um die Werte der zehn Gebote zu sichern. Aber auch im eigenen Land gebe es viel zu tun: “Dass die einen trotz harter Arbeit mit Minilöhnen auskommen müssen, während andere unvorstellbaren Reichtümer aufhäufen widerspricht einer guten sozialen Ordnung, die seit jeher von der kirchlichen Soziallehre eingefordert wird.“
Mit einem „erfrischenden“ Gottesdienst, den Pfarrer I. R. Alois Anetseder zelebrierte, klang der Besinnungstag der KLB zur Fastenzeit aus.
Text und Fotos: Johannes Schmidt (Kreisvorsitzender)