
Landvolk-Diözesanvorstandsmitglied Helga Grömer kennt das Leben in einem bäuerlichen Familienbetrieb, ist selbst auf einem Hof in der Nähe von Pocking aufgewachsen und hat sich ein Leben lang mit den Anliegen der Menschen im ländlichen Raum befasst. Sie war Bildungsreferentin und dann viele Jahre die Leiterin der Landvolkshochschule. Sie bietet Hofübergabe-Seminare an und ist heute die Leiterin der Ländlichen Familienberatung im Bistum Passau. Im Interview mit Annette Plank gibt sie Einblick in ihren Arbeitsalltag und die täglichen zwischenmenschlichen Herausforderungen in der Landwirtschaft.
Annette Plank: „Ich will doch wissen, wo ich hingehöre!“ Dieser Satz könnte auch von den Menschen in der Landwirtschaft kommen, die einen Hof übernehmen oder auch übergeben. Helga, es ist für mich eine große Freude, dieses Interviews zum Thema Hofübergabe und wie dort jede*r seinen richtigen Platz findet, mit dir zu führen. Viele Sorgen der bäuerlichen Familien gehen darauf zurück, dass die “Plätze“ in der Familie, auf dem Hof nicht richtig eigenommen oder verteilt sind, sowohl von den Hofübernehmern, als auch von den Hofübergebern, manchmal sogar auch von weiteren Personen wie z. B. von den Geschwistern. Wie sind deine Erfahrungen, wie finden sich die Hofnachfolger auf den Betrieben?
HG: Das ist für mich eigentlich die Kernfrage, die sich bei einer Übergabe verdichtet. Aber die Suche nach einem*r Hofnachfolger*in, die beginnt schon viel früher. Das ist ja in der Regel der Sohn oder die Tochter der Familie und da stellt sich schon immer die Frage: Wie wird denn jemand zum Hofnachfolger oder zur Hofnachfolgerin? Da gibt’s die einen, die mit fünf Jahren schon wissen, dass sie mal Bauer werden und schon mit dem Papa oder mit dem Opa mitlaufen. Und da gibt’s die andere Situation, wo meinetwegen bis zu vier Kinder da sind und bis zuletzt unklar ist: Wer wird, wer will den Hof überhaupt übernehmen? Davon hängt schon viel ab, ob jemand von sich aus die Entscheidung getroffen hat „Ich will Bauer, ich will Bäuerin werd´n, das wär´ mein´s, das würd mir gfalln!“.
Oder: „Naja, wenn ihn sonst niemand nimmt, dann nehm ich ihn halt“. Selbst aus so einem halbherzigen Entschluss kann manchmal auch was Gutes daraus werden. Schließlich gibt es auch die, – da denke ich an ein paar Beratungsfälle – die einen Hof „automatisch“ übernommen haben und nie wirklich gefragt worden sind: „Willst du den Hof übernehmen?“. Früher war das halt der Stammhalter, der Erstgeborene. Da war es halt so, dass der ihn kriegt. Und das ist auch nicht ganz ohne, weil ich mir denk, um am Hof meinen Platz zu bekommen, braucht es ein deutliches inneres „Ja“ zum Hof, zur Arbeit, zur Familiensituation und zum Leben mit und auf dem Bauernhof. Man muss sich gegenseitig den Platz geben und einräumen. Und man muss den eigenen Platz auch bewusst einnehmen. Da ist es natürlich ein großer Unterschied, ob ich selber auf diesem Hof groß geworden bin oder ob ich von einem anderen Hof stamme. Oder ob ich gar nicht aus der Landwirtschaft komme und wo einheirate. Vor allem für diese gilt „Wer eröffnet mir den Raum, dass ich einen beziehungsweise meinen Platz finden kann?“
Annette Plank: Damit kommen wir zur Rolle der Hofübergeber. Die Hofübergeber wechseln auch ihren Platz, wenn ein Hofübernehmer kommt — und das ist ja auch nicht einfach. Du hast es schon angesprochen, aber welche Rolle haben die Hofübergeber bei der Platzwahl genau?
HG: Ich denk an ein paar Beratungssituationen, da haben die Übergeber ihren Platz äußerlich gesehen nie räumen müssen. Sie haben ihre Küche, ihr Wohnzimmer, ihr Schlafzimmer nie verlassen, sondern die Jungen haben sich ihren Bereich ausgebaut.
Annette Plank: Die machen keinen Platz?
HG: Genaugenommen übernehmen die Jungen zwar, aber die Eltern „regieren“ noch fest mit, ohne, dass sie das selber merken, weil sie sich selbst nicht wegbewegen mussten. Wer im Leben schon öfter umgezogen ist, der weiß, wie sich das anfühlt, wenn ich meine Wohnung ausräume, was aussortiere und wegwerfen muss oder darf. Das bringt mich in Bewegung und bewirkt, dass ich mich selber neu ein- und ausrichten muss.
Das die Eltern noch mit „regieren“ ist für die Jungen nicht leicht, denn sie spüren einerseits Loyalität gegenüber der Elterngeneration und sind ja auf die Zusammenarbeit angewiesen. Aber es gibt halt immer wieder Konflikte, wenn die Übergeber ihren bisherigen „Hauptplatz“ nicht wirklich freigeben.
Annette Plank: Loslassen?
HG: Genau, loslassen. Ich denke an eine junge Frau, die eingeheiratet hat. Die haben vier Kinder und sie ist, aus ihrer Sicht, sehr bemüht, zu schauen, dass das Zusammenleben klappt. Die junge Familie bräuchte mehr Platz im Haus. Aber sie hat nicht den Mut, das mit den Schwiegereltern zu besprechen, „weil die immer sagen, das ist so ausgemacht worden, dass das unser Wohnbereich ist“. Was will man da machen? Die Familie überlegt jetzt, ob sie ein neues Betriebsleiterhaus bauen!
Oder anderes Beispiel: Neulich hat eine Frau in der Beratung gesagt: „Ich möchte unbedingt etwas umbauen bei der Schmutzschleuse, aber das würde dann den Wohnbereich der Schwiegereltern berühren. Nach dem Zinnober, den der Schwiegervater schon bei der Umbauerei beim Übernehmen gemacht hat, wart ich lieber, bis der gestorben ist“. „Ja“, sag ich, „so kann man mit einem Konflikt auch umgehen“ (Frau Grömer lacht).
Annette Plank: Man hat ja auch eine Verbindung, eine ganz starke emotionale Verbindung mit dem Hof.
HG: Natürlich, man ist ja froh, wenn der Vater oder der Opa noch gewisse Arbeiten übernehmen oder im Stall mithelfen oder mit dem Bulldog fahren kann, gerade auch bei Nebenerwerblern. Zunächst ist man dankbar dafür, aber dann passiert´s, dass der Opa mit über 80 Jahren mit dem Bulldog wo anfährt. Und wer traut sich dann sagen: „Du, jetzt is´ Zeit, dass du den Schlüssel oder den Führerschein abgibst und den Platz räumst!“
Annette Plank: Das hat auch mit Respekt zwischen den Generationen zu tun. Als Sohn kann man das dem Vater nicht auf einmal so sagen, das war doch immer umgekehrt …
HG: Ja, genau. Ich muss praktisch den Vater maßregeln…
Annette Plank: Und welche Rolle kriegen die Geschwister, die sogenannten „weichenden Erben“? Die müssen ja auch ihren Platz neu finden, wenn einer den Hof übernimmt. Wie können sie dazu beitragen, dass der Hofübernehmer seinen Platz gut einnehmen kann?
HG: Zunächst denke ich da an meine eigene Situation „als weichende Erbin“. Ich war bei der Übergabe ja schon lange nimmer daheim, sondern kam nur noch zu Besuch. Da sieht man ‑von außen kommend — das eine oder andere und denkt sich dabei: „Das würde ich doch anders machen“. Es ist wahnsinnig schwer, sich als Schwester oder Schwägerin zurück zu halten, weil man sich doch immer noch irgendwie mit dem Hof identifiziert.
Wichtig ist die Einwilligung von den Geschwistern: „Bin ich froh, wenn mein Bruder, meine Schwester, den Hof übernimmt!“ Also dieses dankbare Überlassen. Ich weiß aus der Beratung, dass gerade bei Übergaben sich nochmal verdichtet, was in der Familie bis dahin unausgesprochen eh immer da ist: Wie halten wir´s miteinander? Was ist vielleicht noch da an unausgesprochenen Erwartungen, alten Verletzungen, Wunsch nach Anerkennung usw.?“ Was da manchmal für Geschichten hochkommen… da geht’s nochmal zur Sache, manchmal auch schmerzhaft.
Annette Plank: Helga, was ist mit den Eingeheirateten? Die haben auch ihren Platz zu finden, das ist ja gar nicht so einfach, wie sind deine Erfahrungen da?
HG: Ich denke dabei vor allem an einige Schwiegertöchter, die einheiraten. Eine Frau fällt mir ein, die ist von Beruf Apothekerin und kommt selber nicht aus einer Landwirtschaftsfamilie. Die hat bei einer Beratung mal gesagt: „Ich hab das Gefühl, ich bin hier auf einem anderen Planeten gelandet“, als ob es dort eigene Regeln und Gesetzmäßigkeiten gäbe, die man erst erlernen bzw. rausfinden muss, wenn man nicht aus dieser Welt stammt. Dahinter steckt die Frage: „Pass ich da überhaupt rein?“
Dann das Thema “Schwiegermutter – Schwiegertochter“! Das ist auch nicht ohne, weil gerade die Frauen in ihrer Verantwortung für das Hauswesen, für die Familie, für das Menschliche und für das Beziehungswesen viel miteinander zu tun haben. So manche gstandne Bäuerin — man könnte auch sagen „Haus- und Hofmanagerin“ – tut sich schwer, ihren Platz einer jungen, oft auch ganz anders geprägten Frau zu überlassen. Da ist gar kein böser Wille dabei. Gerade auch in Familien, wo ein guter Zusammenhalt ist, ist es gar nicht so einfach, zurückzutreten, weil man selber ein bisschen die Mitte verliert. Kann ich schon verstehen…
Annette Plank: Man sagt ja manchmal auch, du hast nicht nur deine*n Partner*in, sondern du hast auch den Hof mit geheiratet…
HG: Genau. Im übertragenen Sinne sitzt man doch an einem Tisch, wenn es um den Hof geht. Und der Betrieb sitzt auch immer mit am Tisch! Das ist halt ganz anders, wie wenn jemand in der Früh‘ in die Arbeit fährt — ins Büro oder zu BMW oder sonst wo hin — und kehrt abends zurück. Am Hof bist du den ganzen Tag von der Arbeit umgeben und nebenbei, etwa beim Essen, wird was ausgemacht. Wer das nicht so kennt, tut sich vielleicht gar nicht so leicht damit. Da muss ich halt die Nachteile, aber auch die Vorteile rausfinden….
Annette Plank: In den Hofübergabeseminaren stellst du auch das Instrument „Hofübergabevertrag“ vor, du arbeitest hier auch mit einem Notar, einer Steuerberaterin und einem Vertreter vom Bauernverband zusammen. Der Hofübergabevertrag ist ja ganz wichtig, oder?
HG: Ein gscheider Übergabevertrag ist das Allerwichtigste, weil dort die vertraglichen Regelungen aufgeschrieben werden. Aber dazu muss man vorher genau hinschauen und ausreden, was nicht so klar ist. Lieber vorher viel diskutieren als sich nachher wundern: „Wir dachten, das sei doch eh klar!“ Von wegen! Der beste Übergabevertrag ist der, den man nachher nicht mehr anschauen muss.
Annette Plank: Helga welche Erfahrungen hast du in der Beratungspraxis mit jungen Leuten gemacht, die etwas verändern möchten auf ihrem Hof. Da sind Umbrüche in der Landwirtschaft, die viel Kraft, vor allem auch viel Geld und Mut kosten. Wie wichtig ist da die Unterstützung und der Zusammenhalt der Generationen?
HG: Also, das eine ist die betriebliche Ebene. Da sind die Jungen heute top ausgebildet und die können gut rechnen. Manchmal überschätzen sie sich ein bisserl, glaub ich… Entscheidend ist die zwischenmenschliche Ebene, gegenseitiges Vertrauen: Trau ich als Vater dem Sohn zu, dass er das schultern kann? „Also, Bua, das gefällt mir, dass du dir das traust, dass du da den Mut hast, was Neues anzupacken! Wir glauben, dass du des hinkriegst!“. Wer spricht das wirklich aus? Dieser Zuspruch tut aber gut, in dem Sinne: „Meinen Segen hast du!“ Das andere betrifft die junge Generation: Es braucht die Würdigung und Wertschätzung dessen, was man von den Eltern in die Hand bekommt, was sie geschaffen haben! Also einerseits Vertrauen und Zutrauen und andererseits Würdigung und Wertschätzung und vor allem gegenseitiger Respekt.
Annette Plank: Ich glaube, das ist jetzt ein guter Schluss. Ich danke dir herzlichst für das Gespräch.
Das Beratungsangebot der LFB ist erreichbar unter www.lfb-passau.de, es ist unkompliziert und kostenfrei. Erreichbar ist Helga Grömer auch per E‑Mail: lfb@bistum-passau.de und telefonisch: 0851 393‑5800.