„Ich will doch wissen, wo ich hingehöre!“

P. R. am 25.01.2021

Grömer

Landvolk-Diözesanvorstandsmitglied Helga Grömer kennt das Leben in einem bäuerlichen Familienbetrieb, ist selbst auf einem Hof in der Nähe von Pocking aufgewachsen und hat sich ein Leben lang mit den Anliegen der Menschen im ländlichen Raum befasst. Sie war Bildungsreferentin und dann viele Jahre die Leiterin der Landvolkshochschule. Sie bietet Hofübergabe-Seminare an und ist heute die Leiterin der Ländlichen Familienberatung im Bistum Passau. Im Interview mit Annette Plank gibt sie Einblick in ihren Arbeitsalltag und die täglichen zwischenmenschlichen Herausforderungen in der Landwirtschaft.

Annet­te Plank: Ich will doch wis­sen, wo ich hin­ge­hö­re!“ Die­ser Satz könn­te auch von den Men­schen in der Land­wirt­schaft kom­men, die einen Hof über­neh­men oder auch über­ge­ben. Hel­ga, es ist für mich eine gro­ße Freu­de, die­ses Inter­views zum The­ma Hof­über­ga­be und wie dort jede*r sei­nen rich­ti­gen Platz fin­det, mit dir zu füh­ren. Vie­le Sor­gen der bäu­er­li­chen Fami­li­en gehen dar­auf zurück, dass die Plät­ze“ in der Fami­lie, auf dem Hof nicht rich­tig eige­nom­men oder ver­teilt sind, sowohl von den Hof­über­neh­mern, als auch von den Hof­über­ge­bern, manch­mal sogar auch von wei­te­ren Per­so­nen wie z. B. von den Geschwis­tern. Wie sind dei­ne Erfah­run­gen, wie fin­den sich die Hof­nach­fol­ger auf den Betrieben?

HG: Das ist für mich eigent­lich die Kern­fra­ge, die sich bei einer Über­ga­be ver­dich­tet. Aber die Suche nach einem*r Hofnachfolger*in, die beginnt schon viel frü­her. Das ist ja in der Regel der Sohn oder die Toch­ter der Fami­lie und da stellt sich schon immer die Fra­ge: Wie wird denn jemand zum Hof­nach­fol­ger oder zur Hof­nach­fol­ge­rin? Da gibt’s die einen, die mit fünf Jah­ren schon wis­sen, dass sie mal Bau­er wer­den und schon mit dem Papa oder mit dem Opa mit­lau­fen. Und da gibt’s die ande­re Situa­ti­on, wo mei­net­we­gen bis zu vier Kin­der da sind und bis zuletzt unklar ist: Wer wird, wer will den Hof über­haupt über­neh­men? Davon hängt schon viel ab, ob jemand von sich aus die Ent­schei­dung getrof­fen hat Ich will Bau­er, ich will Bäue­rin werd´n, das wär´ mein´s, das würd mir gfalln!“.

Oder: Naja, wenn ihn sonst nie­mand nimmt, dann nehm ich ihn halt“. Selbst aus so einem halb­her­zi­gen Ent­schluss kann manch­mal auch was Gutes dar­aus wer­den. Schließ­lich gibt es auch die, – da den­ke ich an ein paar Bera­tungs­fäl­le – die einen Hof auto­ma­tisch“ über­nom­men haben und nie wirk­lich gefragt wor­den sind: Willst du den Hof über­neh­men?“. Frü­her war das halt der Stamm­hal­ter, der Erst­ge­bo­re­ne. Da war es halt so, dass der ihn kriegt. Und das ist auch nicht ganz ohne, weil ich mir denk, um am Hof mei­nen Platz zu bekom­men, braucht es ein deut­li­ches inne­res Ja“ zum Hof, zur Arbeit, zur Fami­li­en­si­tua­ti­on und zum Leben mit und auf dem Bau­ern­hof. Man muss sich gegen­sei­tig den Platz geben und ein­räu­men. Und man muss den eige­nen Platz auch bewusst ein­neh­men. Da ist es natür­lich ein gro­ßer Unter­schied, ob ich sel­ber auf die­sem Hof groß gewor­den bin oder ob ich von einem ande­ren Hof stam­me. Oder ob ich gar nicht aus der Land­wirt­schaft kom­me und wo ein­hei­ra­te. Vor allem für die­se gilt Wer eröff­net mir den Raum, dass ich einen bezie­hungs­wei­se mei­nen Platz fin­den kann?“

Annet­te Plank: Damit kom­men wir zur Rol­le der Hof­über­ge­ber. Die Hof­über­ge­ber wech­seln auch ihren Platz, wenn ein Hof­über­neh­mer kommt — und das ist ja auch nicht ein­fach. Du hast es schon ange­spro­chen, aber wel­che Rol­le haben die Hof­über­ge­ber bei der Platz­wahl genau?

HG: Ich denk an ein paar Bera­tungs­si­tua­tio­nen, da haben die Über­ge­ber ihren Platz äußer­lich gese­hen nie räu­men müs­sen. Sie haben ihre Küche, ihr Wohn­zim­mer, ihr Schlaf­zim­mer nie ver­las­sen, son­dern die Jun­gen haben sich ihren Bereich ausgebaut. 

Annet­te Plank: Die machen kei­nen Platz?

HG: Genau­ge­nom­men über­neh­men die Jun­gen zwar, aber die Eltern regie­ren“ noch fest mit, ohne, dass sie das sel­ber mer­ken, weil sie sich selbst nicht weg­be­we­gen muss­ten. Wer im Leben schon öfter umge­zo­gen ist, der weiß, wie sich das anfühlt, wenn ich mei­ne Woh­nung aus­räu­me, was aus­sor­tie­re und weg­wer­fen muss oder darf. Das bringt mich in Bewe­gung und bewirkt, dass ich mich sel­ber neu ein- und aus­rich­ten muss. 

Das die Eltern noch mit regie­ren“ ist für die Jun­gen nicht leicht, denn sie spü­ren einer­seits Loya­li­tät gegen­über der Eltern­ge­nera­ti­on und sind ja auf die Zusam­men­ar­beit ange­wie­sen. Aber es gibt halt immer wie­der Kon­flik­te, wenn die Über­ge­ber ihren bis­he­ri­gen Haupt­platz“ nicht wirk­lich freigeben. 

Annet­te Plank: Loslassen?

HG: Genau, los­las­sen. Ich den­ke an eine jun­ge Frau, die ein­ge­hei­ra­tet hat. Die haben vier Kin­der und sie ist, aus ihrer Sicht, sehr bemüht, zu schau­en, dass das Zusam­men­le­ben klappt. Die jun­ge Fami­lie bräuch­te mehr Platz im Haus. Aber sie hat nicht den Mut, das mit den Schwie­ger­el­tern zu bespre­chen, weil die immer sagen, das ist so aus­ge­macht wor­den, dass das unser Wohn­be­reich ist“. Was will man da machen? Die Fami­lie über­legt jetzt, ob sie ein neu­es Betriebs­lei­ter­haus bauen!

Oder ande­res Bei­spiel: Neu­lich hat eine Frau in der Bera­tung gesagt: Ich möch­te unbe­dingt etwas umbau­en bei der Schmutz­schleu­se, aber das wür­de dann den Wohn­be­reich der Schwie­ger­el­tern berüh­ren. Nach dem Zin­no­ber, den der Schwie­ger­va­ter schon bei der Umbaue­rei beim Über­neh­men gemacht hat, wart ich lie­ber, bis der gestor­ben ist“. Ja“, sag ich, so kann man mit einem Kon­flikt auch umge­hen“ (Frau Grö­mer lacht). 

Annet­te Plank: Man hat ja auch eine Ver­bin­dung, eine ganz star­ke emo­tio­na­le Ver­bin­dung mit dem Hof.

HG: Natür­lich, man ist ja froh, wenn der Vater oder der Opa noch gewis­se Arbei­ten über­neh­men oder im Stall mit­hel­fen oder mit dem Bull­dog fah­ren kann, gera­de auch bei Neben­er­werb­lern. Zunächst ist man dank­bar dafür, aber dann passiert´s, dass der Opa mit über 80 Jah­ren mit dem Bull­dog wo anfährt. Und wer traut sich dann sagen: Du, jetzt is´ Zeit, dass du den Schlüs­sel oder den Füh­rer­schein abgibst und den Platz räumst!“

Annet­te Plank: Das hat auch mit Respekt zwi­schen den Gene­ra­tio­nen zu tun. Als Sohn kann man das dem Vater nicht auf ein­mal so sagen, das war doch immer umgekehrt …

HG: Ja, genau. Ich muss prak­tisch den Vater maßregeln…

Annet­te Plank: Und wel­che Rol­le krie­gen die Geschwis­ter, die soge­nann­ten wei­chen­den Erben“? Die müs­sen ja auch ihren Platz neu fin­den, wenn einer den Hof über­nimmt. Wie kön­nen sie dazu bei­tra­gen, dass der Hof­über­neh­mer sei­nen Platz gut ein­neh­men kann? 

HG: Zunächst den­ke ich da an mei­ne eige­ne Situa­ti­on als wei­chen­de Erbin“. Ich war bei der Über­ga­be ja schon lan­ge nim­mer daheim, son­dern kam nur noch zu Besuch. Da sieht man ‑von außen kom­mend — das eine oder ande­re und denkt sich dabei: Das wür­de ich doch anders machen“. Es ist wahn­sin­nig schwer, sich als Schwes­ter oder Schwä­ge­rin zurück zu hal­ten, weil man sich doch immer noch irgend­wie mit dem Hof identifiziert.

Wich­tig ist die Ein­wil­li­gung von den Geschwis­tern: Bin ich froh, wenn mein Bru­der, mei­ne Schwes­ter, den Hof über­nimmt!“ Also die­ses dank­ba­re Über­las­sen. Ich weiß aus der Bera­tung, dass gera­de bei Über­ga­ben sich noch­mal ver­dich­tet, was in der Fami­lie bis dahin unaus­ge­spro­chen eh immer da ist: Wie hal­ten wir´s mit­ein­an­der? Was ist viel­leicht noch da an unaus­ge­spro­che­nen Erwar­tun­gen, alten Ver­let­zun­gen, Wunsch nach Aner­ken­nung usw.?“ Was da manch­mal für Geschich­ten hoch­kom­men… da geht’s noch­mal zur Sache, manch­mal auch schmerzhaft.

Annet­te Plank: Hel­ga, was ist mit den Ein­ge­hei­ra­te­ten? Die haben auch ihren Platz zu fin­den, das ist ja gar nicht so ein­fach, wie sind dei­ne Erfah­run­gen da?

HG: Ich den­ke dabei vor allem an eini­ge Schwie­ger­töch­ter, die ein­hei­ra­ten. Eine Frau fällt mir ein, die ist von Beruf Apo­the­ke­rin und kommt sel­ber nicht aus einer Land­wirt­schafts­fa­mi­lie. Die hat bei einer Bera­tung mal gesagt: Ich hab das Gefühl, ich bin hier auf einem ande­ren Pla­ne­ten gelan­det“, als ob es dort eige­ne Regeln und Gesetz­mä­ßig­kei­ten gäbe, die man erst erler­nen bzw. raus­fin­den muss, wenn man nicht aus die­ser Welt stammt. Dahin­ter steckt die Fra­ge: Pass ich da über­haupt rein?“

Dann das The­ma Schwie­ger­mut­ter – Schwie­ger­toch­ter“! Das ist auch nicht ohne, weil gera­de die Frau­en in ihrer Ver­ant­wor­tung für das Haus­we­sen, für die Fami­lie, für das Mensch­li­che und für das Bezie­hungs­we­sen viel mit­ein­an­der zu tun haben. So man­che gstand­ne Bäue­rin — man könn­te auch sagen Haus- und Hof­ma­na­ge­rin“ – tut sich schwer, ihren Platz einer jun­gen, oft auch ganz anders gepräg­ten Frau zu über­las­sen. Da ist gar kein böser Wil­le dabei. Gera­de auch in Fami­li­en, wo ein guter Zusam­men­halt ist, ist es gar nicht so ein­fach, zurück­zu­tre­ten, weil man sel­ber ein biss­chen die Mit­te ver­liert. Kann ich schon verstehen…

Annet­te Plank: Man sagt ja manch­mal auch, du hast nicht nur deine*n Partner*in, son­dern du hast auch den Hof mit geheiratet…

HG: Genau. Im über­tra­ge­nen Sin­ne sitzt man doch an einem Tisch, wenn es um den Hof geht. Und der Betrieb sitzt auch immer mit am Tisch! Das ist halt ganz anders, wie wenn jemand in der Früh‘ in die Arbeit fährt — ins Büro oder zu BMW oder sonst wo hin — und kehrt abends zurück. Am Hof bist du den gan­zen Tag von der Arbeit umge­ben und neben­bei, etwa beim Essen, wird was aus­ge­macht. Wer das nicht so kennt, tut sich viel­leicht gar nicht so leicht damit. Da muss ich halt die Nach­tei­le, aber auch die Vor­tei­le rausfinden….

Annet­te Plank: In den Hof­über­ga­be­se­mi­na­ren stellst du auch das Instru­ment Hof­über­ga­be­ver­trag“ vor, du arbei­test hier auch mit einem Notar, einer Steu­er­be­ra­te­rin und einem Ver­tre­ter vom Bau­ern­ver­band zusam­men. Der Hof­über­ga­be­ver­trag ist ja ganz wich­tig, oder? 

HG: Ein gschei­der Über­ga­be­ver­trag ist das Aller­wich­tigs­te, weil dort die ver­trag­li­chen Rege­lun­gen auf­ge­schrie­ben wer­den. Aber dazu muss man vor­her genau hin­schau­en und aus­re­den, was nicht so klar ist. Lie­ber vor­her viel dis­ku­tie­ren als sich nach­her wun­dern: Wir dach­ten, das sei doch eh klar!“ Von wegen! Der bes­te Über­ga­be­ver­trag ist der, den man nach­her nicht mehr anschau­en muss.

Annet­te Plank: Hel­ga wel­che Erfah­run­gen hast du in der Bera­tungs­pra­xis mit jun­gen Leu­ten gemacht, die etwas ver­än­dern möch­ten auf ihrem Hof. Da sind Umbrü­che in der Land­wirt­schaft, die viel Kraft, vor allem auch viel Geld und Mut kos­ten. Wie wich­tig ist da die Unter­stüt­zung und der Zusam­men­halt der Generationen?

HG: Also, das eine ist die betrieb­li­che Ebe­ne. Da sind die Jun­gen heu­te top aus­ge­bil­det und die kön­nen gut rech­nen. Manch­mal über­schät­zen sie sich ein bis­serl, glaub ich… Ent­schei­dend ist die zwi­schen­mensch­li­che Ebe­ne, gegen­sei­ti­ges Ver­trau­en: Trau ich als Vater dem Sohn zu, dass er das schul­tern kann? Also, Bua, das gefällt mir, dass du dir das traust, dass du da den Mut hast, was Neu­es anzu­pa­cken! Wir glau­ben, dass du des hin­kriegst!“. Wer spricht das wirk­lich aus? Die­ser Zuspruch tut aber gut, in dem Sin­ne: Mei­nen Segen hast du!“ Das ande­re betrifft die jun­ge Gene­ra­ti­on: Es braucht die Wür­di­gung und Wert­schät­zung des­sen, was man von den Eltern in die Hand bekommt, was sie geschaf­fen haben! Also einer­seits Ver­trau­en und Zutrau­en und ande­rer­seits Wür­di­gung und Wert­schät­zung und vor allem gegen­sei­ti­ger Respekt. 

Annet­te Plank: Ich glau­be, das ist jetzt ein guter Schluss. Ich dan­ke dir herz­lichst für das Gespräch.

Das Bera­tungs­an­ge­bot der LFB ist erreich­bar unter www​.lfb​-pas​sau​.de, es ist unkom­pli­ziert und kos­ten­frei. Erreich­bar ist Hel­ga Grö­mer auch per E‑Mail: lfb@​bistum-​passau.​de und tele­fo­nisch: 0851 3935800.

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