Der Bürgerenergiestammtisch Sittenberg um KLB-Vorstandsmitglied Johannes Schmidt hat wieder einmal gerufen. Gekommen sind rund 50 Interessierte, die sich für den Referenten des Abends interessierten. Zu Gast beim Kirchenwirt in Neukirchen vorm Wald war Ex-MdB Hans Josef Fell. Sein Vortrag zum Thema „Ein Recht auf Sonne, wie es mit den erneuerbaren Energien weitergehen wird“ war fachlich fundiert und praktisch orientiert.
„Die erneuerbaren Energien waren immer mein Thema im Bundestag“, erinnert sich Fell, ehemals Parlamentarier der Bundestagsfraktion der Grünen und seit geraumer Zeit Geschäftsführer der Energywatchgroup, ein internationales Netzwerk aus Parlamentariern und Wissenschaftlern, das vornehmlich in der Politikberatung tätig ist.
Fell sparte nicht mit markigen Worten und Forderungen: Eine radikale Kehrtwende sei nötig in der Klimapolitik, „denn wir haben jetzt 40 Jahre geschlafen.“ Jeder könne mitmachen, im Dorf und in der Stadt. Deutschland mache zwar nur vier Prozent Weltemissionen aus, aber: „Unsere Techniklieferanten entscheiden vielfach darüber, was in der Welt für Emissionen passieren. Deutschland hat einen massiven Einfluss. Die Ökonomie ist das entscheidende, ob EEG umgesetzt werden oder nicht.“ In New York City und Neukirchen vorm Wald.
Die aktuelle Corona-Pandemie sei bei Leibe nicht die einzige Krankheit, die es auf unserem Planeten gebe. Ganz vorne steht die Luftverschmutzung, die 70.000 vorzeitige Tode schafft. Dazu kommen Kranke und Tode durch verschmutztes Wasser, Böden, Pestizide, Antibiotika, Radioaktivität, Mikroplastik u.v.m. Alle Erkrankten infolge von Umweltverschmutzung sind anfälliger für Infektionen (Stichwort Risikogruppen). „Unsere Politik und unser Verhalten muss ganzheitlich sein, um Gesundheit zu befördern“, fordert Fell. Die Umweltförderung bräuchte dieselben strikten Maßnahmen wie die Pandemie. Greta Thunbergs Antwort auf die Klimafrage sei kindlich, einfach, fast banal, aber richtig: Wir müssen alle Treibhausgas-Emissionen stoppen. Auf null setzen. „Denn weniger vom Dreck ist immer noch Dreck.“ Der Grundfehler der Weltgemeinschaft sei, dass sie nicht von Anfang an vermieden habe, toxische Stoffe in die Atmosphäre zu pumpen.
Was hilft, um dieses Untergangsszenario abzuwenden?
Zum Emissionshandel sagte Fell, dass dieser ein Handel über Verschmutzungsrechte sei. „Das habe ich nie verstanden.“ Er zitierte den NASA-Report vom 16. Januar 2020, so werde im Jahre 2035 wird das Pariser Ziel von 1,5 Grad überschritten. Die Dekade 2010 – 2019 sei die heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, die Erderwärmung sei heute bereits 1,2 Grad über vorindustriellem Niveau. Beispiel Tschadsee: schon längst ausgetrocknet. Beispiel Kalifornien: Waldbrände allenthalben.
„Jede Dekade wird immer schneller immer heißer“, sagte Fell. In den nächsten fünf Jahren werden die 1,5 Grad mit 20 Prozent Wahrscheinlichkeit überschritten. Die Erde heize sich weiter auf, „wenn wir Unmengen von Schadstoffen in die Atmosphäre schaufeln.“ Die Natur warte nicht auf uns, wenn wir das nicht begreifen. „Wir sind auf einem klaren Pfad, dass sich die Erde auf 3 Grad bis 2050 erhitzt.“ Das sei existenzbedrohend für die Menschen. Miami, New York und Shanghai würden zum Teil überschwemmt werden. 55 Prozent der Menschheit seien jährlich an mindestens 20 Tagen tödlicher Hitze ausgesetzt. 30 Prozent der Landflächen weltweit würden unter extremen Dürren leiden und es gebe Wassermangel für 2 Milliarden Menschen.
Was hilft, um dieses Untergangsszenario abzuwenden? „Keine Scheinlösungen und kein Bestandsschutz“, betonte Fell. Auch keine Atomkraft (mit freundlichen Grüßen aus Tschernobyl). „Wir wissen in Deutschland noch nicht einmal wohin mit dem Atommüll.“ Auch kein Erdgas, auch wenn ein Gaskraftwerk weniger CO‑2 als ein Kohlekraftwerk ausstößt. „Aber trotzdem emittiert es nach wie vor und erhitzt die Erde, durch das frei werdende Methan, in dem sehr viel Treibhausgas gespeichert ist.“ Es helfe auch kein teuer finanziertes Marketing rund um das Thema Geoengineering.
Was hilft wirklich? Fakt ist: Fossile Energieträger verursachen 55% aller THG-Emissionen. Genau darauf baue aber unser aktuelles Energiesystem auf: Verbrennen von Erdöl und Erdgas. Dieser Kohlenstoff ist dann in der Atmosphäre und heizt die Erde auf. Deswegen: Der Kern des Klimaschutzes sei die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien, auf eine Landwirtschaft, die vollökologisch ist, auf eine Materialwirtschaft, die keine Ölverbrennung mehr erzeugt — und natürlich Naturschutz.
Erneuerbare Energien wachsen, wenn politischer Wille da ist
Um die Erde wieder abzukühlen, empfahl Fell eine Doppelstrategie: Das Ende für Treibhausgasemissionen (nicht: Reduktion der Emissionen), die Beendigung der Nutzung atomarer fossiler Energien. Sowie das Herausholen des Kohlenstoffs aus der Atmosphäre durch Humusaufbau und Biokohle, durch großflächige Aufforstungen, Grünlandbeweidung und biologische Landwirtschaft.
Die Aussichten auf einen echten Wandel seien nicht allzu schlecht. Fell glaubt, dass erneuerbare Energie ein neues Mantra aller Politiken werden wird. „Das wird eine Leitschnur in immer mehr Ländern dieser Welt, 61 Länder der Welt wollen das aktuell schon verwirklichen, das neueste Beispiel ist Costa Rica.“ Dieses kleine Land beschäme die Welt, weil es zeige, was möglich sei, wenn der politische Wille gegeben sei. Auch viele globale Unternehmen machen mit bei der Umstellung: Genannt wurden Google, Apple, Coca-Cocla und Ikea. Auch der Autobauer Tesla gehört zur grünen Riege. „Tesla produziert seine Batterien in Fabriken aus 100 Prozent Solarstrom. Eine aktuelle Studie von EWG und einer finnischen Universität (LUT) zeige zudem, dass die Umstellung auch billiger sei als das heutige Energiesystem. Sonne, Wasser, Wind, Geothermie und entsprechende Speichersysteme – der kluge Mix ist entscheidend. „Man kann die Welt ohne Probleme 100 Prozent erneuerbar versorgen.“
Erneuerbare Energien können mit politischer Unterstützung sehr schnell wachsen. Das zeige auch der Rückblick auf das EEG-Gesetz Anfang des neuen Jahrtausends mit dem Ziel, den Ökostrom in zehn Jahren auf 12 Prozent Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch zu erhöhen. Das Ziel wurde so leicht erreicht, so dass die letzte Zielformulierung von 2010 unter der Regierung Merkel (bis 2020: 30 Prozent Ökostrom) eigentlich zu wenig ambitioniert gewesen sind. Die 65 Prozent, die die aktuelle Bundesregierung nun in der EEG-Novelle nimmt sich dagegen als „fatal, weil viel zu wenig aus“. Außerdem sehe die Gesetzesnovelle vor, dass private Stromeinspeisungen mit 3 Cent vergütet werden sollen. Das Eingespeiste soll zukünftig aber gemessen werden, und dafür braucht man teures Instrumentarium. Fall ist sicher: „Das wird sich für den Privaten nicht rechnen.“ Er könne sich vorstellen, dass deswegen an der Novelle noch einmal nachgebessert werden wird.
Was die Energiepreise angeht, lägen diese von Wind und Solar (Photovoltaik) deutlich unter den Kosten für Nuklear/Fossil. Verglichen mit den Stromkosten aus Steinkohle seien die Erneuerbaren deutlich günstiger: Wind onshore um ca. 66 Prozent; Solar PV um ca. 33 Prozent. „Es ist widersinnig, die Welt zu verschmutzen und Energie teuer einkaufen zu müssen. Beides geht: Das Klima zu schützen und weniger für Energie zu bezahlen. Die Gesetze müssen unterstützen, nicht behindern.“
Auch muss mehr der einzelne Bürger in den Blick genommen werden. Die Eigentümer an der in Deutschland installierten Leistung zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren-Energien-Anlagen sind zu 31 Prozent Privathaushalte, Landwirte machen 10 Prozent aus. Es gibt Millionen von Energieerzeugern im Lande. „Das ist eine demokratische Revolution im Energiesektor.“ Fell nannte das positive Beispiel des Landkreises Hundsrück: Die Energiewende ist dort eine echte Erfolgsgeschichte. Unterm Strich handele es sich um einen Null-Emission-Landkreis. Erneuerbare Energien produzieren mehr als 300 Prozent des Strombedarfs.
Wenn die Umstellung so einfach möglich ist, wieso gibt es trotzdem so viele Widerstände? Ein Grund liegt im Lobbying der mächtigen Atom — und Kohlewirtschaft. Immer steht dahinter: Schutz des alten, statt Ausbau des Neuen. „Die Kraft dieser Bestandschützer ist enorm, es geht ja auch um das größte Geschäft der Welt.“ Und: Der Wandel scheitere auch am politischen Willen und an fehlendem Wissen. Jedenfalls nicht an technischer Machbarkeit oder fehlender Wirtschaftlichkeit. Zur Sprache kam die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, organisiert von eben jener Kohle- und Atomwirtschaft, die „Lügen und Falschbehauptungen“ zur Methode erheben würden und kostenintensive Angstkampagnen nach dem Motto: „Hilfe, die Energiewende ist unbezahlbar“ fahren würden. Die beliebten Vorwände der Energiewende seien: zu teuer, zu hoch subventioniert, Strompreistreiber, jagen Industrie aus dem Land, schaffen Stromausfälle. „So funktioniert Propaganda, wenn jemand sieben Mal dasselbe hört, glaubt er es, das ist eine alte Psychologen-Weisheit“.
Unzulängliche EEG-Novelle der Bundesregierung
Aber das Lobbying trägt mitunter (leider) Früchte: die onshore-Windkraft in Deutschland ist teilweise stark eingebrochen, die sinkende Beantragung von neuen Windkrafträdern sei teils durch komplizierte Ausschreibungen zu erklären. Auch bei den Solaranlagen habe es schon stärkere Wachstumsphasen gegeben. In Bayern könne der Ausbau der Erneuerbaren Energie bei weitem noch nicht die Abschaltung der Atomkraft rechtfertigen. Ohnehin sei die Frage, wie Bayern das Energieproblem nach dem Abschalten der Kraftwerke Gundremmingen und Isar 2 in den Griff bekommen wolle – „wo soll dann der Strom herkommen?“
Was die aktuelle Klimapolitik der Bundesregierung angehe, sei der Regierungsentwurf für EEG-Novelle 2020 „komplett unzulänglich“. Bei Photovoltaik würden Ausschreibungen auf 500-kW Dachanlagen ausgeweitet. Bei den privaten Photovoltaikanlagen müsse man Abschaltungen rechnen. Aber Fell betonte: „Bitte schalten sie einfach nicht ab.“ Fell forderte bei EEG einen Demokratieabbau in großem Stil, sowie das die EU in ihren Richtlinien fordert. Fell: „Die Bürger müssen unterstützt und von Bürokratie befreit werden“. Die Bürger hätten ein Recht auf Sonne, selbst erzeugter Strom sollte nicht besteuert werden. „Die Sonne ist Energiequelle für uns alle, jeder hat das Recht, die Sonne frei zu nutzen.
Auch die Landwirtschaft könnte ihre Ackerflächen besser für Sonnenstromerzeugung nutzen. Da gebe es mitunter eine „Geht-nicht-Mentalität“. Fell zitierte das Beispiel eines italienischen Bauern, der nun eine bessere Ertragsstabilität als seine Bauerskollegen hätte, weil er den Acker für Solarstromerzeugung und Kornanbau doppelt nutzt. Solarstrom sorge auch für artgerechte Tierhaltung, die Beschattung schützt zudem die Bodenfeuchte. Fell hat es ausrechnen lassen: „Photovoltaik auf 1% der Weltagrarfläche, würde den gesamten Weltenergiebedarf decken. Auch in städtischen Milieus könnte man Verbesserungen erzielen: In Kiew würden viele Bürger den Strom für den Hausgebrauch über Balkonmodule produzieren.
Interessant ist, dass mit dem Ausbau der Windenergie in Deutschland die Zahl der Rotmilane zugenommen hat, was eigentlich kontraintuitiv ist, weil Windkraft bisweilen mit Artensterben in Verbindung gebracht wird. Aber das sei Fake news. Mit dem Ausbau der Windenergie hat die Population der Rotmilane zugenommen. Zum Beispiel nisten geschützte Wanderfalken am Windrad. Außerdem ist die Technik weitergegangen: das System
Birdscan erkennt einen herannahenden Vogel und schaltet für diesen Zeitraum das Rad ab. „Fakt ist: Der größte Angriff auf die Artenvielfalt dieser Erde ist der Klimawandel, den man unter anderem durch Windkraft bekämpft.“
Wie könnte ein echter Politikwechsel aussehen?
Auch mit Blick auf die Wasserkraft ist das Tierwohl in toto nicht angefasst. Beispiel Wasserschnecke: Hoch effiziente Wasserkraft sorge dafür, dass Fische und Aale unversehrt passieren können. Außerdem sorgt die Wasserkraft seit Jahrzehnten für den benötigten Ausgleich bei Solar- und Windschwankungen. Zum Thema Bioenergie sei Fell für vieles offen, „auch für Biogas, wenn es richtig organisiert ist“. Pflanzen müssten in diesem Zusammenhang so angebaut werden, dass sie auch den Bienen und Schmetterlingen dienen, Monokulturen sollten vermieden werden. Fells Credo ist: Nicht die Biogasanlage stimuliert die Monokulturen, sondern der Landwirt. „Aber dem müssen wir da raushelfen, dass er das sauberer organisieren kann“, reichte Fell den Landwirten die Hand.
Wie könnte also eine Politik für 100 Prozent erneuerbare Energie konkret aussehen? Fell hat eine To-Do-Liste angefertigt. Der Klimaschutz muss Eingang in das Grundgesetz finden, es muss Gesetze für Einspeiseregelungen geben. Subventionen für fossile und atomare Rohstoffe müssten sofort beendet werden. „Jede Tonne CO‑2 wird mit 100 Dollar subventioniert, das ist krank.“ Es müssten Steuerbefreiungen für Erneuerbare und Steuererhebungen für Schmutzige in Form einer Schmutzsteuer (CO2, Methan, Radioaktivität u.a.) eingeführt werden. Klimaschutz brauche aber auch eine Forschungs- und Bildungsoffensive sowie eine Beendigung der Widerstände bei hochbürokratischen Genehmigungsverfahren. Nicht tauglich für wirksamen Klimaschutz aus Sicht von Hans Josef Fell: Quoten, Zertifikatesysteme und der vorgenannte Emissionshandel. „Wir müssen im Gesamtenergiesystem denken: Mit Sektorenkopplung und 100 % EEG. So versorgen wir unsere Fahrzeuge, Häuser, Wärme und den Transport. Mit Wasser, Solar, Bioenergie, Geothermie.
Die Stadtwerke Haßfurt führte er als gutes Praxisbeispiel an: diese würden den Strombedarf zu 195 Prozent mit Wind, Biogas und Kraft-Wärme-Kopplung decken. Der Stromüberschuss wird in Wasserstoff gespeichert, Stromkunden könnten selbst den Bedarf (nach)steuern. Schutz vor einem Blackout böte die Wasserbetriebe. Fells Energywatchgroup habe einen konkreten Gesetzesvorschlag gemacht mit dem Titel: Sektorenkopplung- und Innovationsgesetz für EE (SIG-EE). Ein Gesetzesinhalt wäre eine so genannte Kombikraftwerksvergütung, mit derer der für den Klimaschutz notwendige Ausbau der Erneuerbaren gestärkt und gleichzeitig deren systemdienliche Netzintegration befördert werden würde.